More Distortion!
Das Schöne und das Hässliche – zwei ganz und gar gegensätzliche Extreme, die oft näher beieinander liegen als man denkt. Zum Beispiel bei Die Achse: Ihre erste Single beginnt auf der dunklen Seite der Macht. Zerhackte Vocals, knallharte Drums, ein überfordernder bis verstörender Sturm der Klänge. »Hate You« wiederholt mantrahaft eine hochgepitchte, Menschen-ähnliche Stimme; so lange bis nach knapp drei Minuten Laufzeit mit der virtuosen Hässlichkeit des Soundgewitters gebrochen wird. Der Hass, beziehungsweise das zum Mantra zusammen gechoppte »Hate You« bleibt zwar, aber auf musikalischer Ebene bricht die Sonne durch die Wolken.
Die zweite Single „Nicolas Cage“ vereint zwei musikalische Welten: Der jamaikanische Dancehall-Star Assassin bringt mit wortgewaltigem Patois die Energie Kingstons auf den Track, Grime-Veteran Ghetts spuckt Feuer und zeigt, wo in East London der Hammer hängt – und die beiden „Angry Germans“ Bazzazian und Farhot sorgen dafür, dass das Ganze auf einem unerhörten Brett von Beat passiert.
Die Achse? Die beiden virtuosen Individuen hinter diesem deutschen Wort sind Ben Bazzazian und Farhad Samadzada, alias Bazzazian und Farhot. Geht man im Kopf das große Reservoir an aktiven und erfolgreichen Beatmakern und Produzenten durch, fallen einem kaum zwei andere Namen mit einem ähnlichen Gespür für geschmackvollen, musikalischen Futurismus ein, der nichtsdestotrotz nicht auf Traditionen scheißt. Das war schon in den vergangenen Jahren so, wenn Bazzazian und Farhot die besten Beats für die besten Rapper bauten, es gilt aber ganz besonders im Jetzt, wo das Duo mit seiner ersten gemeinsamen Ep »ANGRY GERMAN« die eigene künstlerische Vision in den Vordergrund rückt.
Neben dem eingangs erwähnten Opener, der einen in Sachen Stimmungsaufbau durchaus an den IDM-Pionier Aphex Twin erinnert, erwarten den Hörer auf »ANGRY GERMAN« eine glatte handvoll weiterer Stücke, die eine Vielzahl musikalischer Einflüsse vereinen: Boombap-Drums, Soulmusik-Versatzstücke, hochgepitchte Vocalsamples, wie man sie aus dem New Yorker HipHop der beginnenden Nullerjahre kennt, persische Streicher, Grime- Bässe, eine deftige Portion UK Bass Music und natürlich: vieles mehr.
Nach ordentlichem Durchrühren und Aufkochen all dieser Zutaten konnten Farhot und Bazzazian aus der klebrigen, süchtig machenden Masse sechs Stücke heraus modellieren, die einen beim Hören ein nervenaufreibendes Wechselbad der Gefühle durchleben lassen: die schnellen, hypernervösen, lauten Momente dominieren auf »ANGRY GERMAN«, aber es gibt immer wieder auch Momente spontan hervor brechender Schönheit, in denen der Cortex des Hörers kurz mal nicht an der Belastungsgrenze arbeiten muss. »ANGRY GERMAN« beinhaltet Musik, die wirkt wie ein Zerrspiegel, der die Realität auf eine verstörende Art und Weise wiedergibt. Passenderweise bezeichnen die Künstler selbst ihren Sound mit der Formel More Distortion, denn definitiv wirkt der Bazzazian x Farhot-Sound auf Ungeübte verstörend. Ein Glück, denn ist nicht das eine der zentralen Qualitäten herausragender Kunst? Dass sie einen durcheinander bringt und fest geglaubte Fakten zum Schwimmen bringt?
»ANGRY GERMAN« fickt deinen Kopf im besten Sinne: erst bist du überfordert, dann aufgeputscht, dann schwelgst du in Schönheit, dann wirst du wieder gefordert und denkst kurz du kannst nicht mehr, aber dann überwältigt dich im Moment der Erschöpfung brutale musikalische Schönheit, du erlebst eine Katharsis und kehrst innerlich gereinigt zurück aus den Köpfen von Farhot und Bazzazian und landest wieder: bei dir selbst.
Die Achse gelingt es mit ihrem Debüt, welches das Format »EP« komplett ausreizt und einem in knapp unter 25 Minuten mehr großartige Einfälle auftischt als die meisten Musiker in ihrer gesamten Karriere, einen Soundentwurf zu entwerfen, der zwar auf internationalen Einflüssen fußt, sich von diesen aber konsequent emanzipiert. So tauchen zwar ausschließlich internationale Gäste auf, um dem Projekt Vocals beizusteuern – der britische Newcomer Suspect, sowie die Grime-Instanz Ghetts und der jamaikanische Dancehall-MC Assassin –, allerdings werden alle drei ihrer Comfort Zone entrissen und so zu integren Teilen der Die Achse-Soundcollagen, anstatt diese zu überstrahlen.
Dadurch klappt bei die Die Achse etwas in hiesigen Gefilden immer noch Einzigartiges: das Entwerfen einer eigenen Welt, die vorher nocht nicht da war, die nicht bloß aus London, Marseille oder Atlanta zusammengeklaut ist. Eine Welt, die durch viel Experimentierfreude einen Sog entwickelt. Eine Welt, die düster, aggressiv und wütend daher kommt und in dieser Hinsicht durchaus auch an jene Produktionen anknüpft, die Bazzazian und Farhot in der Vergangenheit Künstlern wie Haftbefehl auf den Leib geschneidert haben, aber eben den nächsten entscheidenden Schritt hin zu etwas Neuem, noch nicht dagewesen geht. Dieses Neue hat bislang noch keinen Namen, aber so viel steht fest: ihr werdet es nicht mehr loswerden. Die Achse ist gekommen, um in sich in eure Gehirnwindungen hinein zu fräsen und euch nicht wieder loszulassen – ein Kind ist geboren und »ANGRY GERMAN« ist zwar der erste, aber sicher nicht der letzte Schrei des aufmüpfigen Nachwuchses.
Tracklist:
01 Hate You
02 Anthem
03 Nicolas Cage ft. Ghetts & Assassin
04 Angry German ft. Suspect
05 Patient ft. Nneka
06 Leave Me
EP Facts:
Artist: Die Achse
Title: Angry German EP
VÖ: 27.04.2018
Label: Kabul Fire
Vertrieb: Believe Digital GmbH
Format: DL / Stream